Planet der Habenichtse by Ursula K. Le Guin
Autor:Ursula K. Le Guin [Le Guin, Ursula K.]
Die sprache: deu
Format: epub, mobi
Tags: Utopie, Weltraum, Kapitalismus, Kommunismus, Feudalismus, Philosophie, Gleichberechtigung, Gesellschaftspolitik, Ressourcenbasis, Diplomatie, Dystopie
Herausgeber: Heyne
veröffentlicht: 2011-04-22T04:00:00+00:00
REVOLUTION IN BENBILI!
DIKTATOR FLIEHT!
REBELLENFÜHRER HALTEN HAUPTSTADT BESETZT! NOTSTANDSSITZUNG DES RWG!
INTERVENTION A-IO MÖGLICH!
Die Vogelfutterzeitung schrie es in ihrer größten Schrift. Rechtschreibung und Grammatik blieben auf der Strecke; der Text las sich, wie Efor sprach: ›Seit der vergangenen Nacht halten die Rebellen das Gebiet westlich Meskti besetzt und stellen Heer vor schwere Aufgabe . ..« Es war der typische Nioti-Sprachstil, Zukunft und Vergangenheit zu einer hochexplosiven, reißerisch klingenden Gegenwart zusammengepreßt.
Shevek las die Zeitungen und las in der RWG-Enzyklopädie über Benbili nach. Der Form nach herrschte dort im Land eine parlamentarische Demokratie, in Wirklichkeit jedoch eine von Generälen geführte Militärdiktatur. Benbili war ein großes Land in der westlichen Hemisphäre, mit Bergen und Savannen, unterbevölkert, arm.
»Ich hätte nach Benbili gehen sollen«, dachte Shevek, denn die Vorstellung faszinierte ihn; er sah helle Ebenen, über die der Wind fegte. Die Nachricht hatte ihn seltsam berührt. Er hörte sich alle Meldungen im Radio an, das er bisher nur selten eingeschaltet hatte, weil er herausgefunden hatte, daß seine grundlegende Funktion in der Werbung für bestimmte Waren bestand. Die Berichte waren, genau wie diejenigen des öffentlichen Telefax in den Gemeinschaftsräumen, knapp und trocken: ein sonderbarer Kontrast zur Volkspresse, die auf allen Titelseiten Revolution! schrie.
Der Präsident, General Havevert, hatte in seinem berühmten gepanzerten Flugzeug fliehen können, einige rangniedere Generäle jedoch waren gefangengenommen und entmannt worden, eine Strafe, die in Benbili traditionsgemäß der Hinrichtung vorgezogen wurde. Die zurückweichende Armee brannte auf ihrem Marsch Felder und Städte ihres eigenen Volkes nieder. Guerilla-Partisanen behinderten die Armee. Die Revolutionäre in Meskti, der Hauptstadt, öffneten die Gefängnisse und begnadigten alle Gefangenen. Als er das las, schwoll Shevek das Herz vor Freude. Es gab also noch Hoffnung, es gab immer noch Hoffnung ... Er verfolgte die Nachrichten über die ferne Revolution mit zunehmender Spannung. Am vierten Tag, als er sich eine Telefax-Sendung über die Debatte des Rats der Weltregierung ansah, hörte er, wie der Ioti-Botschafter beim RWG verkündete, daß AIo dem Präsidenten-General Havevert bewaffnete Streitkräfte zur Unterstützung der demokratischen Regierung von Benbili zur Verfügung stellen werde.
Die Benbili-Revolutionäre waren zum größten Teil nicht einmal bewaffnet. Die loti-Truppen würden mit Kanonen, Panzerwagen, Flugzeugen und Bomben kommen. Shevek, der die Beschreibung ihrer Ausrüstung in der Zeitung las, wurde es schwer ums Herz.
Er fühlte sich elend und war wütend, und es gab niemanden, mit dem er sich aussprechen konnte. Pae kam nicht in Frage. Atro war ein fanatischer Militarist. Oiie war zwar ein moralischer Mensch, doch seine privaten Unsicherheiten, seine Besorgnis als Besitzender, veranlaßten ihn, strikt an den Begriffen Gesetz und Ordnung festzuhalten. Seine persönliche Zuneigung zu Shevek konnte er nur bewältigen, indem er sich weigerte, einzusehen, daß Shevek ein Anarchist war. Die Odonier bezeichneten sich als Anarchisten, behauptete er, aber in Wirklichkeit seien sie nichts weiter als primitive Populisten, deren Gesellschaftsordnung auch ohne sichtbare Regierung funktioniere, weil es so wenige von ihnen gäbe und weil sie keine Nachbarstaaten hätten. Wenn ihr Besitz von einem aggressiven Rivalen bedroht wäre, würden sie endlich aufwachen und die Realität erkennen oder ausradiert werden. Für die Benbili-Rebellen komme jetzt das große Erwachen: Sie müßten erkennen, daß Freiheit nichts nützt, wenn man sie nicht mit Waffen stützt.
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